Donnerstag, 23. Februar 2017

Von Krücken und Freiheit

Es gibt Blogposts, von denen weiß ich, so sicher, wie ich meinen Namen kenne, dass sie geschrieben werden wollen. Geschrieben werden müssen, besser gesagt. Posts, die wichtig und richtig sind und die meinen Blog zu dem machen, was er eben ist.
Die sich aber auch schwer und mühsam schreiben und um die ich deswegen gerne einen Bogen mache.
Dieser Blogpost gehört zur beschriebenen Sorte, mach es Dir bequem, hol Dir gerne einen Tee oder Kaffee, es könnte länger dauern.
Oh und...es wird persönlich.

Dass es hier auf dem Blog deutlich stiller geworden ist, weißt Du. Was Du aber wohl nicht kennst, das ist der Grund für diese mir selbst unheimliche Stille – ich hatte im letzten Sommer einen Schlaganfall.
Zum Glück keinen riesig großen, aber die Folgen reichen mir auch so zur Genüge.

Puh, jetzt ist es raus und in der Welt und ich sollte und möchte dazu Einiges sagen.
Vorweg –

Wieso veröffentliche ich das hier?

Zuerst hatte ich gar nicht vor, darüber zu schreiben, weil es sehr privat ist, weil es mich angreifbar macht und weil das eigentlich nichts ist, was ich mit der Welt teilen möchte. In den letzten Monaten habe ich aber immer stärker gespürt, dass es etwas ist, worüber ich einfach schreiben muss und das aus mehreren Gründen.

Ich will ehrlich sein.
Mein Blog, meine Party und das hier war von Anfang an eine eher persönliche Party. 
Zu Beginn habe ich einfach so gebloggt, wie es sich gut angefühlt hat und auch meine Themen danach ausgesucht. Irgendwann wissen ein paar und dann ein paar mehr Menschen von Deinem Blog und Du bemühst Dich um einen höheren Grad der Professionalisierung. Dazu gehört auch, allzu Persönliches wegzulassen. 
Das habe ich nie so ganz verfolgt, aber diese kleinen Stimmen im Hinterkopf sind trotzdem da. Was, wenn Kunden das hier lesen? Wird das für den Arbeitgeber okay sein? Was werden die Menschen, die mir nah und wichtig sind und auf deren Meinung ich Wert lege, denken?
Und weißt Du was?
Es ist mir egal. 
Vollkommen egal.
Der Post will in die Welt und ich will ehrlich zu Dir sein. Ja, klar, ich wäre irgendwie auch noch ehrlich, wenn ich einfach nicht darüber schreiben würde, aber es fühlt sich nicht richtig an. Wem das nicht passt, der kann die Party verlassen, woanders wird auch gute Musik gespielt.

Ich will mich nicht verstecken.
Keine Krankheit ist etwas, wofür der Erkrankte etwas kann und verschweigen hat für mich viel mit Scham zu tun. Wofür sollte ich mich aber schämen? Hätte ich besser auf mich aufpassen müssen und wäre weniger Stress gut gewesen?
Aber sicher! 
Und trotzdem, in dem Umzugschaos von Düsseldorf nach München, dann gleich noch einmal in München, in der Aufregung und Freude über den neuen Job und allem, was diese Umbruchphase eben so mit sich gebracht hat, war es so, dass ich diesen Stress eben aushalten musste. Stressige Phasen hat jeder einmal und ob das letztlich tatsächlich die Ursache war...wer weiß. 
So gilt wieder der Eingangssatz, niemand kann etwas für eine solche Erkrankung - und niemand sollte sich damit oder deswegen verstecken.

Ich will aufmerksam machen.
Es gibt deutlich mehr Schlaganfallpatienten in jungen Jahren, als Du Dir vorstellst. Also, wirklich deutlich mehr. Übrigens sind häufiger Frauen als Männer betroffen, weil gerade die Pille das Risiko für einen Schlaganfall erheblich steigert (nein, das war bei mir nicht der Grund). Und es trifft nicht immer nur die anderen, es kann Dich ebenso treffen wie mich.
Wenn Du Dich komisch fühlst, wenn Du Lähmungserscheinungen hast, Worte nicht findest, wenn Du auf einer Seite nichts siehst usw. – geh zum Arzt! Sofort! Egal, was Du gerade tust. Warte nicht ab (so wie ich)!
Das reicht an Predigt.

Ich will Mut machen.
Ja, das mag pathetisch klingen, aber ein bisschen Mut können wir alle gebrauchen, schließlich hat jeder sein ganz individuelles Päckchen zu tragen und ich würde mir wünschen, wir würden offener darüber reden. Das hilft nämlich enorm und zeigt, dass man nicht alleine und kein Leben glattgebügelt perfekt ist. Ja, es ist schwer, sich verletztlich zu zeigen, vermeintlich schwach und nicht bloggerglänzend, aber ich finde, die Wahrheit ist das wert.
Mir zumindest hilft es sehr, wenn ich sehe, wie großartig und offen, wie mutig und lebensbejahend andere mit ihren eigenen Herausforderungen umgehen. Fee zum Beispiel, die ihre MS immer mal wieder thematisiert und ein echter Mutmacher ist.
Das Leben nach einem Schlaganfall ist nicht vorbei, nur anders. Und das kann auch schön sein, wenn Du es zulässt.
Machen wir weiter mit...

Wie geht es mir?

Ganz ehrlich, das ist sehr verschieden und variiert von Tag zu Tag.
Grundsätzlich gibt es mittlerweile mehr gute als schlechte Tage und das ist so viel wert!
Ich habe einige Einschränkungen, die Du sehen kannst und laufe mit einer Krücke, anstrengender in vielerlei Hinsicht sind aber die Einschränkungen, die Du nicht sehen kannst.

Den langsamen Arm, der nicht so viel spürt wie der andere und mir im Alltag immer wieder in die Quere kommt (u.a. auch beim Tippen, weshalb Blogpostsschreiben gerade anstrengend ist).

Die Fatigue, die sehr heftig war und langsam, langsam etwas besser wird. Und dann gibt es wieder diese Tage, an denen einfach gar nichts geht und die sich, wenn es schlecht läuft, wieder zu Wochen ausdehnen.

Die Konzentration, die immer noch nicht wieder so ist, dass ich mich wie ich selbst fühle. Auch hier gibt es gute Tage und solche, an denen ich kaum eine Seite lesen und auch verstehen kann. Das wird besser, aber es dauert und gerade das ist es auch, was das Bloggen gerade so schwer macht. Ich habe diverse Rezepte entwickelt, geshootet, alles ist fertig und wartet auf meine eigentliche Lieblingsaufgabe, das Schreiben - und ausgerechnet das will gerade nicht so gut funktionieren.

Die...tja, wie nenne ich das? Überlastung? Ich kann Geräusche nur äußerst schlecht trennen, läuft das Radio und redet der Lieblingsmensch dazu, wird das Ganze ein Geräusch. Ein lautes Geräusch, Lärm, den ich nicht verstehe.
Stell Dir das jetzt einfach mal an einem belebten Platz oder in einem Raum mit vielen Menschen vor. Ja, das ist wie Folter und geht so weit, dass mir jedes Geräusch körperlich weh tut. Dann hilft nur noch eines, schnell in die Stille zurück, wenig Reize, wenig Menschen.
Wir versuchen, auszugehen und zumindest ein bisschen Normalität zu leben, aber wir suchen z.B. unsere Ziele nach dem Lärmpegel aus. Es gibt bessere Tage, an denen ich mehr schaffe, an schlechten Tagen ist mir ein leeres Restaurant noch immer zu laut. Treffen mit Freunden finden am besten in kleinen Gruppen statt und letzten Montag haben wir ein Klavierkonzert von Daniel Barenboim besucht. EIN Instrument, sonst Stille (ok und viele Huster, es war wie bei Loriot!). Für mich ein Abend, den ich richtig genießen konnte – ganz davon abgesehen, dass Hr. Barenboim unfassbar großartig ist! Unbedingte Empfehlung, wenn Du klassische Musik magst.
Ich nehme sowieso immer schon sehr viel um mich herum wahr, als meine Umwelt (HSP), momentan ist aber der ‚Regler’ für ein erträgliches Maß völlig kaputt und ich hoffe sehr, dass sich das deutlich bessert! Einsiedlerin ist nämlich so gar kein Lebensziel von mir ;-)!
Und was heißt das jetzt?

Momentan ist mein Leben in einer Art Warteschleife, in der ich hart dafür arbeite, mir Verlorenes zurück zu erobern und dabei die nötige Geduld mit mir selbst aufzubringen. Das fällt mir eigentlich am Schwersten, geduldig mit mir zu sein und diese neue-alte Sabine zu akzeptieren, so, wie ich nun einmal gerade bin.
Ich freue mich an den guten Tagen und merke zumindest, dass ich sie nicht mehr so teuer bezahlen muss, wie noch vor einigen Monaten (denn jeder gute Tag ‚kostet’ einige schlechte). Es geht aufwärts, wenn auch sehr zäh und oft nur für mich selbst spürbar.
Daneben versuche ich, meinen armen Kopf mit Neuem zu füttern, auch eine Art Training.  Gerade übe ich fleißig Handlettering und vor allem Kalligraphie und es ist so schön, Schönes zu erschaffen!
Überhaupt freue ich mich so sehr an vielen kleinen Dingen, weil ich in meinem Schneckentempo die Ruhe und Zeit habe, sie wahrzunehmen. Während ich das hier tippe, sitze ich bei 16 Grad auf dem Balkon, spüre meine warme Wärmflasche im Rücken und in dem alten Apfelbaum unserer Nachbarn turnt eine kleine Blaumeise fröhlich in der Luft. Jede Krankheit wirft Dich unweigerlich auf Dich selbst zurück. Die Frage ist dann, ob Du mit Dir im Reinen bist und es mit Dir selbst aushältst. Ich für meinen Teil schaffe das ganz gut und bin froh, dass ich meinen Humor dabei nie verliere.

Für den Blog heißt das, dass es wohl noch eine Weile etwas uneinheitlich zugehen wird. In guten Zeiten schreibe und teile ich und das immer noch sehr gern, an schlechten Tagen ist es stiller. Das heißt nicht, dass es mir immer total schlecht geht, wenn es ruhig ist, sondern einfach, dass das Tage sind, an denen ich meine Gedanken nur schwer in Worte fassen und diese oft nicht finden kann. Ich hoffe, dass sich das wieder einpendeln wird, aber ich mache mir keinen Druck.

Überhaupt ist Druck gerade nicht hilfreich und ich habe großes Glück, dass nur ich ihn mir mache und mein Umfeld nicht. Der Lieblingsmensch geht herrlich gelassen mit dem ganzen Thema um und macht wenig Aufhebens darum, was schön ist, denn so bestimmt das Kranksein nicht unser ganzes Leben. Meine Familie, Freunde – alle nehmen’s, wie’s grad kommt und wissen, dass es mir auch mal so schlecht geht, dass ich Verabredungen nicht einhalten kann. Verstehen oder nachempfinden muss das gar nicht jeder können, es reicht mir schon völlig und hilft, wenn es alle akzeptieren.

Vielleicht klingt das Alles bis hierher wenig optimistisch (Glückwunsch, wenn Du es so weit geschafft hast) – das bin ich aber ganz und gar nicht.
Vielmehr ist mir sehr wohl bewusst, was für ein unfassbares Glück ich hatte, ein Schlaganfall kann auch ganz anders ausgehen. Und so habe ich mir, nach ein bisschen wohlverdientem Weltschmerz, wieder meine rheinisch-rosarote Brille auf die Nase gesetzt und beschlossen, die guten Seiten zu sehen. Ich lebe. Ich habe wohl keine bleibenden Behinderungen davongetragen. Ja, ich habe einige Schrammen und erschreckenderweise graue Haare zurückbehalten, aber die sind verschmerzbar – und wofür hat ein kluger Mensch die Haarfärbemittel erfunden ;-)?!

Egal, was für Päckchen uns das Leben vor die Füße wirft, ich bin zutiefst überzeugt davon, dass jeder Mensch seins tragen kann. Wie Du das tust, mürrisch und selbstmitleidig oder mit einer Krücke tanzend, das bleibt Dir überlassen. Denn was immer uns passiert, was das Leben an Überraschungen bereithält, wir bestimmen einzig und allein selbst, was wir daraus machen und wie wir die Welt sehen. Das ist Deine Freiheit, die Dir kein kranker Körper nehmen kann - und mir auch nicht.

Liebst,
Sabine