Montag, 3. Juni 2013

Die kleinen Tode


Heute wollte ich Dir eigentlich zwei herrlich leckere Ideen für Rhabarber zeigen - und dann kam mir wieder einmal das Leben dazwischen ;-).
Statt dessen kommt nun ein etwas nachdenklicher Post, lecker wird es dann morgen wieder, versprochen.
_________________________ 


Manchmal entscheidet das Leben für uns.
Einfach so.

Du hast schon einen Plan, eine Idee, wohin es geht und Du fühlst Dich gut damit – und dann, PENG!, hast Du gar keine Wahl mehr, als diesem Weg zu folgen.

Weil es anders nicht (mehr) geht.

Weil sich Deine Wahlfreiheit urplötzlich in zementierte Gewissheit gewandelt hat, ohne, dass Du etwas dafür könntest.

Eine tolle Sitaution?

Perfekt, weil Du nichts mehr erklären oder rechtfertigen musst?

Grandios, weil DEINE Entscheidung nun ganz definitiv und unwiederbringlich umgesetzt wird?

Nun...nein.
Nicht vollkommen jedenfalls.
Wär ja auch zu einfach ;-).

Ich jedenfalls habe ganz grundsätzlich ein Problem mit Situationen, die festgelegt sind, an denen ich nichts mehr ändern kann.
Manchmal, wenn das Leben für Dich entschieden hat, ist es eben nicht mehr Deine eigene Entscheidung, einen bestimmten Weg zu gehen, Du kannst Dich nicht umentscheiden, nichts beeinflussen.
Und DAS ist schwer zu akzeptieren, ich jedenfalls knabber immer wieder daran.

Sich zu entscheiden im Leben, das heißt immer, ganz unumstößlich, sich zugleich FÜR und GEGEN etwas zu entscheiden.

Wenn ich mir bei der netten italienischen Nonna 2 Kugeln Erdbeereis bestelle, dann entscheide ich mich damit auch gegen alle anderen Sorten.

Wenn ich mich für ein Jurastudium einschreibe, dann entscheide ich mich für ein Leben als Juristin – und gegen die Archäologin, Mathematikerin oder Hirnchirurgin, die ich hätte werden können.

Ja, das sind einfache Beispiele, aber ich denke, Du weißt, was ich meine ;-).


Manche Entscheidungen fallen uns ganz und gar leicht, manche überdenken wir selbst gar nicht, weil die Antwort so fest überzeugt in uns ist, andere Entscheidungen können wir erst nach schlaflosen Nächten treffen.

Mit vielen Entscheidungen sind wir hoch zufrieden, mit anderen hadern wir wieder und wieder.

Was jedoch kaum passiert, jedenfalls wird (nur in meinem Umfeld?) nicht darüber geredet, das ist die Lebenswege wirklich zu verabschieden, die Du nicht genommen hast.

Klingt komisch?
Ist gar nicht soo verrückt:

Bleiben wir beim Beispiel mit dem Studium.
Du wolltest (vielleicht schon immer) Jura studieren.
Du magst den Beruf des Anwaltes, Du trittst gern vor Gericht auf, Dir macht das Studium Spaß, Du findest viele Freunde, die so ticken wie Du.

Toll!

Aber...

Da gibt es eben auch noch diese andere Seite in Dir.
Die hätte gern Altphilologie studiert.
Völlig brotlose Kunst, klar, und ein finanziell gesicherter Lebenswandel ist Dir wichtig.
Du möchtest auch nicht Dein Leben an der Uni verbringen und dort forschen und lehren.
Absolut richtig, diesen Weg nicht einzuschlagen.

Du bist also mit der Entscheidung, Jura zu studieren, glücklich und zufrieden.
Und trotzdem – wenn Du an der philosophischen Fakultät vorbeigehst, wenn Du in der Bibliothek vor der philologischen Abteilung stehst...dann spürst Du einen Stich im Herz, ganz fein vielleicht nur und leise, aber da.

Es gibt nun Menschen, die laut und vernehmlich „Hab ich’s Dir doch gesagt!“ in den Raum schmettern möchten oder etwas Ähnliches.
Wenig hilfreich auf jeden Fall und vielleicht etwas schadenfroh.

Liebes...solche Menschen brauchst Du nicht.
Was Du aber vielleicht gebrauchen kannst ist das hier:

Es ist vollkommen in Ordnung, Dir Trauer über die Leben zuzugestehen, die Du nicht führen wirst.
Dir darüber im Klaren zu sein, woGEGEN Du Dich im Leben entscheidest und das auch zu betrauern, das bedeutet so gar nicht, mit den Entscheidungen, die Du getroffen hast, unzufrieden zu sein. Oder gleich ein ganz anderes Leben führen zu wollen.

Wieso nur ist es offenbar so abwegig, sich diese Gedanken zu machen?

Wir treffen alle am Tag tausende von Entscheidungen, über die meisten denken wir nicht nach und im Grunde ist es häufig kaum wichtig, wie wir uns entscheiden.

Aber bei den wenigen wirklich wichtigen Dingen, den lebensverändernden Entscheidungen, DA sollten wir uns zugestehen, uns nicht nur wie Bolle über das zu freuen, WOFÜR wir uns entschieden haben, sondern uns auch einen Moment gönnen das bewusst zu verabschieden, WOGEGEN wir uns entschieden haben.

Was das Ganze soll?

Nun...ich bin mir irgendwie sehr sicher, dass das etliche Krisen von uns fernhält.

Wer sich mit 19 BEWUSST für Jura und gegen Altphilologie entscheidet, sich traurige Momente gönnt und die Altphilologin in sich still begräbt, der hat vielleicht nicht mit Mitte 40 das Gefühl, den völlig falschen Weg gegangen zu sein.

Wer sich – idealerweise gemeinsam mit dem Partner ;-) – nach der Hochzeit ein paar Tränen gönnt über all die interessanten Menschen, denen man nicht mehr, oder unter gänzlich anderen Vorzeichen begegnen wird, der denkt möglicherweise nicht 15 Jahre nach der Hochzeit panisch darüber nach, im Leben schrecklich viel verpasst zu haben.

Das sind nur Beispiele, ich hoffe, Dir wird klar, in welche Richtung ich denke.

Sich Dinge BEWUSST zu machen, das hilft.
Es untermauert die eigenen Entscheidungen und stellt sie auf ein sicheres Fundament, eins, das nicht leicht zu erschüttern ist.

Versteh mich nicht falsch, Liebes, es geht mir nicht darum, jede Entscheidung, die einmal getroffen wurde, zu hinterfragen und wieder und wieder zu prüfen.
So gar nicht.
Wenn ich mich FÜR etwas entschieden habe, dann sind das Entscheidungen, zu denen ich stehen kann, sehr lange Zeit und sehr entschieden, ohne jeden Zweifel.

Das ist aber nur möglich, weil ich mir vorher bewusst mache, wogegen ich mich entscheide.
Weil ich mir Zeit und Raum gebe, diese anderen ‚Sabines’, die ich nun einmal nicht sein werde, zu verabschieden.

„Jede Entscheidung trägt kleine Tode in sich“, diesen klugen Satz habe ich vor langer Zeit einmal gelesen, frag mich bitte nicht mehr, wo.
Wahr ist er jedenfalls.
Und wenn wir es uns gönnen, diese Wahrheit zu erkennen und diesen kleinen Toden, na, zum Beispiel Eisstielkreuzchen basteln, dann schützt uns das nicht nur vor möglichen späteren Lebenskrisen, es erleichtert, so verrückt das erst mal klingen mag, auch die Entscheidung an sich.
Ich MUSS nicht mit jeder Entscheidung vollkommen glücklich sein, aber ich habe eine wesentlich höhere Chance dazu, wenn ich sie ganz bewusst getroffen habe.
Zu diesem ‚bewussten entscheiden’ gehört nun einmal aber auch, sich die Dinge bewusst zu machen, die durch unsere Entscheidung ausgeschlossen werden, sei das nun das Schokoeis oder die Altphilologie.

Und wenn dann das Leben entscheidet?
Wenn es nicht mehr in Deiner Hand liegt, wenn Du Dich nicht mehr umentscheiden oder auch nur darüber nachdenken kannst?
Wenn sich Dein Lebensweg also nicht mehr wie Deine eigene Entscheidung anfühlt?

Liebes...ich weiß nur zu gut, wie hart das sein kann.
Wie wenig es auch in solchen Momenten hilft, Dir all die guten, guten Gründe für Deine Entscheidung aufzuzählen.
Aber weißt Du, was hilft?
Ein Moment ehrlicher Trauer darüber, was nicht sein kann, ohne, dass Du Dich schlecht oder schuldig fühlst, ohne, dass Du bereust, wie Dein Leben verläuft oder dass Du bedauerst, was IST.

Oder aber....ein Studium der Altphilologie ;-)?

Liebst,
Sabine